Nueva Germania

Lutz Dammbeck
Paradise Now! Der Traum von einem „Nueva Germania“
an den Ufern des Rio Paraguay

„Wer nicht tanzen kann mit Winden, / Wer sich wickeln muß mit Binden, / Angebunden, Krüppel-Greis, /
Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen, / Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen, / Fort aus unsrem Paradeis ! / Wirbeln wir den Staub der Straßen, / Allen Kranken in die Nasen, / Scheuchen wir die Krankenbrut! / Lösen wir die ganze Küste / Von dem Ödem dürrer Brüste, / Von den Augen ohne Mut!“ (Friedrich Nietzsche: An den Mistral)

Für meinen Film „Zeit der Götter“ recherchierte ich 1990 auch in der ehemaligen DDR. Der Hinweis von Ralf Schedlinski, einem der Literaten vom Prenzlauer Berg, führte mich zu dem Dichter Rolf Schilling in Bielen, einem kleinen Dorf im Harz. Schilling hatte nach der Wende von 1989 engen Kontakt zu Ernst Jünger, und einen von Schillings Gedichtbänden hatte kurz vor seinem Tode Arno Breker illustriert. Schilling gehörte in der DDR zu einem kleinen Kreis von Dissidenten mit „nationaler“ Gesinnung, die neben Arno Breker, Ernst Jünger, Stefan George, Richard Wagner auch Friedrich Nietzsche als Mitglied eines „geheimen Deutschlands“ verehrten, dem sie in Röcken bei Lützen und anderen Orten der Erinnerung mit Lesungen huldigten.(1) Für meinen Film hatte sich Schilling vor der „Queste“ (einer Variante der „Irminsul“, dem germanischen Weltenbaum) filmen lassen, und dabei eines seiner Gedichte vorgetragen. Bei Nachforschungen zur Bedeutung des Zeichens (2) stieß ich bald auch auf eine geheimnisvolle „arische Siedlung“ in den Urwäldern Südamerikas, deren Gründung angeblich im Zusammenhang mit Friedrich Nietzsche stand und wo Fahnen mit einem goldenen Hakenkreuz auf blauem Grund geweht haben sollten. Ich konsultierte eine südamerikanische Freundin in Hamburg. Sie vermutete, daß es sich wahrscheinlich um die deutsche Siedlung „Nueva Germania“ in Paraguay handelte, die von Nietzsches Schwester Elisabeth mitgegründet wurde. Die Bewohner würden in einem schwer verständlichen deutschen Dialekt sprechen, „like Saxonians“. 1994 fiel mir dann das im Reclam-Verlag erschienene Buch „Vergessenes Vaterland“ von Ben Macintyre in die Hände, das später Grundlage für einen zweiteiligen Film der BBC wurde: „Forgotten Fatherland“. Der Autor beschrieb darin seine Reise in den Dschungel Paraguays, um dort nach der Siedlung „Nueva Germania“ zu suchen, die er sich als eine Bühne für das Experiment vorstellte, im Urwald Südamerikas eine „reine“ Herrenrasse zu züchten. Autor und Buch zogen eine direkte Linie von Nietzsche über Mussolini zu Hitler, die stellenweise von den fiebrigen Phantasien eines Russ Meyer aufgeheizt schien. (3) (4)

Ich versuchte mir selbst ein Bild zu machen und fuhr nach Weimar, wo der Nachlass der Schwester Nietzsches lag, und auch zahlreiche Unterlagen über das Siedlungsprojekt vorhanden waren. Was mich sofort interessierte war eine Spur, die über den Mann von Elisabeth Nietzsche, den Schriftsteller Dr. Bernhard Förster, zu den Anfängen des politischen Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich zu dessen regionalen Wurzeln in Sachsen führte. Und ich sah auch sofort Bezüge zu einer Ideen-, Kunst- und Geistesgeschichte, mit der ich mich schon bei den Recherchen zu ZEIT DER GÖTTER beschäftigt hatte.

Am 22. Mai 1885 heiratete der Berliner Gymnasiallehrer und Schriftsteller Dr. Bernhard Förster in Naumburg die Schwester des Philosophen Friedrich Nietzsche. Er schenkte dem Paar zur Hochzeit den Stich „Ritter, Tod und Teufel“ von Albrecht Dürer, den sich seine Schwester Elisabeth gewünscht hatte. (5) Förster hatte Elisabeth im Umfeld von Richard Wagner und Bayreuth kennengelernt. Mit Theodor Fritsch, Otto Glagau und Liebermann von Sonnenberg gehörte er zur „Deutschen Sieben“, einem Bund von Antisemiten und Speerspitze der sich in Deutschland entwickelnden antisemitischen politischen Bewegung. (6) Deren unzählige Schriften, Pamphlete und Manifeste forderten unter Berufung auf die Gedankenwelt und Schriften Friedrich Nietzsches, Richard Wagners, Paul de Lagardes und Julius Langbehns (Rembrandt als Erzieher) eine durchgreifende „Gesundung“ und „Höherentwicklung“ des deutschen Volkes. Unzählige sozialdarwinistische Traktate, Konzepte von Eugenik, Rassehygiene und Euthanasie widmeten sich der Überwindung von „Entartung“ und der Konstituierung eines „Dritten Reichs“. Neben Theodor Fritzsch (7) und seiner Antisemitischen Korrespondenz (die er auch an Nietzsche verschickte) war Dr.Bernhard Förster einer der Wortführer dieser antisemitischen Bewegung. Förster hatte auch als Autor von Büchern über Indogermanische Baustiltheorie, Arische Christusauffassungen und die Kunst Albrecht Dürers, des „Deutschesten der Deutschen“, Aufmerksamkeit erregt. Hauptfeind- und Hindernis für das erträumte neue Deutschland waren für ihn die Juden. (8) So war Förster 1881 auch der Initiator einer von 267 000 Unterzeichnern unterstützten antijüdischen Petition, die er Bismarck überreichte. Beeindruckt war Förster vor allem von der Vorstellungswelt Richard Wagners, zu dem er eine Seelenverwandschaft verspürte. Begeistert teilte er Wagners Vorstellungen von einer Neugeburt Deutschlands und deutscher Kunst. Besonders dessen Anregungen zur Gründung eines neuen Deutschlands außerhalb des Altreiches fiel bei Förster auf fruchtbaren Boden.(9) Südamerika schien Förster dafür ein geeigneter Ort, speziell das nach einem Krieg mit Argentinien und Brasilien fast menschenleere Paraguay, das er zweimal bereiste. (10)

In Zeitungen wie den Bayreuther Blättern oder den von Theodor Fritsch in Leipzig herausgegebenen Südamerikanischen Colonialnachrichten warb er für sein „Nueva Germania“, das sich von Paraguay über die ganze Welt ausbreiten sollte. Arisch, judenfrei, wirtschaftlich stark und Geburtsort einer neuen Herrenrasse sollte dieses Deutschland sein. (11) Das Vorhaben war für Förster kein wirtschaftliches Unternehmen, sondern er verstand es vielmehr als eine ihm von Wagner selbst gewiesene nationale Kulturaufgabe. Das Ehepaar Förster reiste nun durch Deutschland, um in Bierhallen, Festzelten und vor Wagnervereinen Werbung für ihr „arisches Kolonialprojekt“ zu machen. (12) Zulauf gab es vor allem in Sachsen. Dort hatte die Industrialisierung in der „Möbelkammer“ Sachsen viele Kleinhandwerker und Möbelhersteller arbeitslos gemacht. Das Auswanderungs- und Siedlungsprojekt „Nueva Germania“ erschien einigen von ihnen nun als große Chance. Vom letzten Geld kauften sie Vieh, Werkzeuge und erwarben den Gutschein für ein Stück Land in Paraguay. Am 15. Februar 1886 gingen Elisabeth Förster-Nietzsche und Bernhard Förster mit einem Trupp Kolonialisten in Hamburg an Bord des Dampfers „Uruguay“, um nach Paraguay zu reisen. Kurz vor Abfahrt des Schiffs im Hamburg erreichte Förster ein Telegramm mit Grüssen und dem Dank von Richard Wagner für ein von Förster verfaßtes und Wagner gewidmetes Buch mit dem Titel „Parsifal Nachklänge“.

1992 hatte mein Film ZEIT DER GÖTTER Premiere im Forum der Berlinale und war unter anderem auch auf lebhaftes Interesse bei den Filmreferenten der Goethe-Institute gestoßen. 1995 wurde der Film mit zwei anderen Dokumentarfilmen, der eine über Leni Riefenstahl und der andere über den Komponisten Hans Schulze (Lilly Marleen) zu einem Filmpaket des Goethe-Instituts mit dem Titel „Dienstbare Kunst“ zusammengestellt. Ich wurde eingeladen dieses Filmprogramm im Mai und Juni 1995 nach Chile, Argentinien, Uruguay und Paraguay zu begleiten und wollte diese Gelegenheit nutzen, in Paraguay mehr über die Siedlung „Nueva Germania“ zu erfahren. Die Länder in denen Vorführungen geplant waren befanden sich zum Zeitpunkt meiner Reise im Umbruch. Denn 1989 war nicht nur das Jahr des endgültigen Zusammenbruchs der sozialistischen Staatengemeinschaft und der Einführung des Personal Computers gewesen, sondern auch das Jahr, in dem im Hinterhof der USA einige der südamerikanischen Militärdiktaturen in Demokratien umgewandelt wurden.

Die Tour begann in Chile und endete in Paraguay. Während des Flugs nach Santiago las ich in der Zeitung einen Artikel der ausführlich beschrieb, wie während der Militärdiktatur in Argentinien politische Gefangene auf offener See lebendig und in Säcken verschnürt in den Atlantik geworfen wurden. Die Stimmung in Chile und Argentinien während der Vorführungen und den anschließenden Diskussionen war aufgeladen durch die in den Medien und in der Öffentlichkeit geführte Debatte über Schuld, Kollaboration und Sühne. Wie sollte man mit dem Erbe der Diktatur umgehen? Deshalb trafen die drei Filme aus Deutschland auf starkes Interesse. Wie hatten das die Deutschen gemacht?

In Santiago de Chile, wo die Reise begann, traf ich auch Vivienne und Juan wieder. Wir waren uns erstmals 1976 im Dresdner DEFA-Trickfilmstudio begegnet. Sie wie ich waren neu im Studio, und betrachteten den Studioalltag mit den gleichen gemischten Gefühlen. Beide waren in Chile Mitglieder der kommunistischen Partei gewesen. Kurz nach Beginn des Pusch der Militärs unter General Pinochet gegen die Regierung Allendes waren Juan mit seiner Freundin Vivien und deren zwei Kindern in die DDR-Botschaft in Santiago geflüchtet, und konnte dann in die DDR ausreisen. Dort wurde er nach Dresden geschickt. Juan und Vivien kamen aus wohlhabenden Verhältnissen, Viviens Mutter war Diplomatin bei der Unesco in Genf. Über die ihnen von den ostdeutschen Genossen zugewiesene Neubauwohnung mussten sie heimlich lächeln, zu Hause in Chile waren sie Parkett, Fußbodenheizung und Einbauschränke gewohnt. Zunächst mussten Juan und Vivien im Kamerawerk PENTACON arbeiten. Die Schicht begann früh um sechs. Bald waren beide von der kommunistischen Wirklichkeit zermürbt, und suchten einen Ausweg. Der führte in das DEFA-Trickfilmstudio, und freundeten uns an. Die kommunistische Begeisterung beider war in Chile ein Spiel gewesen und gehörte auf dem Campus der Universität zum guten Ton. Man mußte Gitarre spielen können und Kommunist sein, um Mädchen rumzukriegen. Juan wollte zunächst Tennisprofi werden. Dann kam der Putsch. Viele der linken Studenten flüchteten in Botschaften und bekamen so ein Ticket nach Europa. Für einige war das eine kostenlose Abenteuerreise, für andere dagegen ging es um Leben und Tod. Juan war Eurokommunist, das mußte er aber bei den zahlreichen SED-Parteiversammlungen, an denen beide teilnehmen mussten, verschweigen. Einmal sagt er zu mir und Karin: die einzigen Kommunisten die ich in der DDR kennengelernt habe seid ihr beiden. Wir lachten zunächst, fanden es aber dann nicht falsch.

Nach ein paar Jahren, als die Chancen für die Sicherheit der Rückkehrer von den Emigranten 60:40 eingeschätzt wurde, gingen beide wieder zurück nach Chile. Nun war Juan der Inhaber und Chefredakteur eines Pop-Radios in Santiago, und Vivien war Produzentin für Animationsfilme in Chile, Bolivien und Paraguay. Als sie 1984 nach Chile zurückkehrten, war ihnen zunächst Desinteresse und auch Ablehnung entgegengeschlagen. So, seid ihr wieder da? Habt es Euch gut gehen lassen, währenddessen wir hier Schweres auszuhalten hatten. Niemand hat auf Euch gewartet. Weggegangen, Platz gefangen. Stellt Euch hinten an, die Schlange ist lang. Mit Unterstützung der Regierung wurde dann für die Rückkehrer eine kleine Siedlung gebaut. Dort waren die Rückkehrer aus der Emigration zunächst unter sich, ehe sie sich langsam wieder integrieren konnten.

Nach der Vorführung von ZEIT DER GÖTTER gingen Vivien und Juan mit uns in ein Restaurant, wo es deutsche Leberwurst gab. Die Szenen über die Tibetexedition der SS und den esoterischen Hintergrund des Nationalsozialismus hatten Juan auf eine Idee gebracht. Einer seiner Bekannten sei ein guter Freund von Miguel Serrano, einem chilenischen Esoteriker und Faschisten, der in Valparaiso lebte. Ob ich den besuchen möchte? Mit dem könnte ich bestimmt über die esoterischen Aspekte im Werk Brekers sprechen. Vivienne ergänzte ein, dass es Im Süden des Lands, in der Salpeterwüste, seltsame Schriftritzungen und Zeichen gebe, die wie Runenzeichen aussehen. Auch dazu habe Serrano geforscht. Das interessierte mich, Von Serrano hatte ich schon gehört. Er war Dichter und Diplomat, unter anderem chilenischer Botschafter in Jugoslawien, in Österreich (1964-1970) und bei internationalen Organisationen wie der UNIDO in Wien, bis ihn Salvador Allende Ende der 1970er Jahre entließ. Zunächst Marxist, wendete sich Serrano aber 1939 den chilenischen „Nacistas“ zu und wurde Mitglied eines Geheimordens, der seine esoterische Spiritualität in direkten Bezug zu Hitler und seinem Nationalsozialismus setzte und dessen Wurzeln in einer vedisch-arischen Vergangenheit sah. Für Serrano wie einen seiner deutsch-österreichischen Stichwortgeber Edmund Kiß, ein Strandlinienforscher, Dichter und SS-Oberstumbannführer im SS-Amt „Ahnenerbe“, waren die Völker Lateinamerikas Nachfahren der durch eine Katastrophe versprengten nordischen Rasse von Atlantis, womit die mythologische Aufwertung Lateinamerikas nicht erst nach 1945, sondern bereits zu Zeiten des Dritten Reiches ihren Anfang nahm.

Serrano sah in Hitler und dem Massenkult des Dritten Reiches die Manifestation archetypischer Kräfte, deren aktives Eingreifen in die Menschheitsgeschichte einen Quantensprung in ein neues, besseres Zeitalter versprach. Nach seiner Entlassung aus dem diplomatischen Dienst widmete er sich verstärkt seinen Forschungen über den Kontinent Hyperborea, der in der rechts-esoterischen Mythologie unsichtbar wurde und im das Innern der Erde verschwand, wo weitere Hyperboreer in den geheimen, unterirdischen Städten Agartha und Shamballah neue Staaten gemäß der göttlichen Ordnung errichteten. Sarrano war eine Kultfigur der internationalen Esoterikszene. Als Juan versuchte, einen Termin für ein Treffen in Valparaiso zu vereinbaren erfuhr er, dass Serrano auf einer Vortragsreise in Europa ist. Er würde aber gern nach seiner Rückkehr mit mir in Briefkontakt treten.

Auch in Buenos Aires stieß das Filmprogramm des Goethe-Instituts auf riesiges Interesse, die Zeitungen berichteten ausführlich. Vor allem Ernst Jünger und Leni Riefenstahl standen im Fokus der Aufmerksamkeit. Aber die Vorführungen waren auch für viele der Besucher ein „Heimattreffen“ und Wiedersehen mit deutscher Kultur. Daß diese im konkreten Fall von rechts kam, spielte dabei keine so große Rolle. Hauptsache deutsch. So saßen während der Vorführungen und den anschließenden hitzigen Diskussionen in in der ersten Reihe meist die alten emigrierten Juden, während in den Reihen dahinter die „alten Kameraden“ von SS und NSDAP Platz genommen hatten, die später, nach 1945, ins Land gekommen waren. Während der Diskussion im Anschluß an die Vorführung von „Zeit der Götter“ in Buenos Aires stand ein eleganter älterer Herr auf und sagte: Und, was ist mit dem Dichter Borghes? Hat er nicht die Mitglieder der Junta als Caballeros, als ehrenwerte Männer bezeichnet? Der Saal heult auf. In der ersten Reihe sprang der Intendant des Teatro Colon auf: Mein Herr, ich bitte Sie, Borghes! „Nein, nicht Borghes!“, ruft es im Saal. Aber was ist mit den anderen, fragte der ältere Herr weiter, die mit den Militärs kollaborierten? Eine erregte Debatte um die unentwirrbare Verstrickung von Künstler, Werk und politischen Verhältnissen flammte auf, die mich an den deutsch-deutschen Bilderstreit und die Frage des Umgangs mit der DDR-Kunst erinnerte.

Während es bei Werk und Biografie Brekers eindeutig um die Schuld ging, einem verbrecherischen Regime gedient zu haben, wurde im Fall Leni Riefenstahls milder geurteilt. Leni Riefenstahls wurde vor allem von jungen Feministinnen verteidigt. Für die waren Riefenstahls Filme und ästhetische Erfindungen wichtiger Beitrag zur filmkünstlerischen Moderne und Teil einer ewiggültigen Avantgarde. Brekers Werk und Biografie ließ das Publikum dagegen eher kalt. Schau Dir die amerikanischen Visagen in der Werbung und der Popkultur an, die sind für uns schlimmer als Euer Breker, sagen mir argentinische Künstler. Mit diesen genormten Visagen und rassistischen Mustern wird seit Jahrzehnten ganz Südamerika überzogen. Diese amerikanische Kulturschablonen sind wie Gehirnwäsche. Dagegen wehren wir uns.

In Buenos Aires und den anderen Spielorten der Filmreihe war der deutsche Einfluß überall spürbar. In Cordoba wurde ich von einem älteren Herrn zur Filmvorführung in einem großen Kino in der Innenstadt chauffiert, der sich als ehemaliger Fahrer von General Canaris vorstellte. Er sei Bayer. In Mendoza erzählte mir ein Filmemacher, dass er mit dem Sohn eines der Matrosen des Schlachtschiffs „Graf Spee“ zusammen in eine Klasse ging. Das Schiff wurde bei Kriegsbeginn repatriiert. Viele der Matrosen und Offiziere blieben in Mendoza und prägten später das Bild vom Deutschen. Ehemalige Mitglieder der Mannschaft der „Graf Spee“ führten in Mendoza das Turnen im Schulunterricht ein.

Auch der KZ-Arzt Mengele lebte zunächst unter seinem richtigen Namen in Buenos Aires, bevor er nach Paraguay ging, wo er auch in der Siedlung „Nueva Germania“ gesehen wurde. Im argentinischen Miltär und bei der Luftwaffe kamen Mitarbeiter von Wernher von Braun unter

Am 23. Mai 1995 flogen wir von Montevideo nach Asuncion. Im Flugzeug saßen neben dem Football-Team aus Paraguay auch mehrere Männer in grauen Anzügen mit Aktenkoffern, die wie die Geheimagenten aus James Bond-Filmen aussahen. Einer saß neben mir und kaute den ganzen Flug an seinen Fingernägeln. Auf der Fahrt mit dem Wagen des Deutsch-Paraguayischen Kulturinstituts vom Flughafen zum Hotel fuhren wir auch an der größten CIA-Residenz des Kontinents vorbei. Von hier aus wurden seit Jahren alle CIA-Operationen in Südamerika koordiniert. Unvorstellbar, daß die Anwesenheit Mengeles oder anderer über die „Rattenlinie“ nach Paraguay, Brasilien oder Argentinien geschleuster Nazis ohne Wissen und Duldung der CIA möglich war. Am Abend gab es nach der Filmvorführung einen Begrüßungscocktail im Deutsch-Paraguayischen Kulturinstitut. Ich lernte Gisela von Thümen kennen, die Person, die „NuevaGermania“ 1987 wiederentdeckte. Sie gehörte zu einer der alteingesessensten Familien der deutschen Kolonie in Asunncion und hatte schon mit Oberst Rudl Tennis gespielt. Der habe sie aber verrückt gemacht, weil er nach verschlagenen Bällen immer mit dem Schläger an sein Holzbein geschlagen habe. Sie empfing mich am nächsten Tag in Ihrer Villa zum Lunch. Von einem Professor Nagel aus Asuncion, einem „alten Nazi“ wie Sie sagt, erhielt sie 1986 den ersten Hinweis auf die Gründung der Kolonie und den Zusammenhang mit der Familie Nietzsche. Sie fuhr mit den Archivunterlagen in die Kolonie und hielt diese den Siedlern vor. Die fielen aus allen Wolken, denn in der Kolonie selbst war das Jubileum unbekannt. 1987 organisierte sie dann die 100-Jahrfeier von Nueva Germania mit dem evangelischen Pfarrer Detlef Venhaus, der die dortige Gemeinde betreute. Beide mieteten einen Dampfer, mit dem am 22. August 1987 eine illustre Gesellschaft den Rio Paraguay und Nebenflüsse nach Nueva Germania hinauffuhr, um den verdutzten Siedlern ein Ständchen mit Musik Richard Wagners zu bringen. An Bord waren Künstler aus Paraguay und Argentinien, der deutsche Botschafter und viele ehemalige „Neu-Germanier“, die mittlerweile in Asuncion lebten und dort den Kern der Evangelischen Gemeinde bildeten. Frau von Thümen riet mir, mit diesem Pfarrer Venhaus zu sprechen, denn der wisse mehr über „Nueva Germania“, wie die Siedler selbst. Aber wenn ich gern mal für einen Tag in die Siedlung fliegen möchte, könnte sie das organisieren. Der Flug koste 1500 DM. Ich könnte auch mit dem Auto fahren, das dauere aber drei Tage. So viel Zeit hatte ich nicht. So flogen wir am nächsten Tag kurzentschlossen nach Nueva Germania. Was uns erwartete, war aber enttäuschend: eine kleine Siedlung im Urwald mit ärmlichen Hütten auf kargem Boden. Wir gingen etwas ratlos herum und wurden dabei misstrauisch beäugt. Blonde „Neu-Germanier“ sah ich nicht. Nach drei Stunden drängte der Pilot zum Aufbruch, ein Gewitter kündigte sich an, und so flogen wir zurück nach Asuncion.

Nach meiner Rückkehr aus Südamerika fuhr ich wieder ins Nietzsche-Archiv nach Weimar In Asuncion hatte ich mir im Archiv eines Historikers Kopien von einigen die Siedlung betreffenden Unterlagen anfertigen können. Die wollte ich nun mit den Materialien im Nietzsche-Archiv abzugleichen.

Nach den Akten und Briefen in Weimar erreichten das Ehepaar Förster-Nietzsche und 14 Familien aus Sachsen am 14. März 1887 den Hafen von Montevideo, und fuhren mit einem kleinen Dampfer weiter über Asuncion den Rio Paraguay hinauf bis zu einer Gabelung der Flüsse Guazu´ und Umi´. Hier kam das Schiff wegen mangelnden Tiefgangs und der vielen Sandbänke nicht weiter. Förster hatte bei seinen vorherigen Erkundungsreisen den Fluß in der Regenzeit befahren. Nun aber war, wie fast das ganze Jahr, Trockenzeit, und der Wasserstand sehr niedrig. Auf den in Asuncion gekauften landesüblichen Carretas (Ochsenkarren) karrten die Siedler, von Insekten, sumpfigen Untergrund und heißem Klima geplagt, ihr Hab und Gut zum Siedlungsplatz, der 90 Kilometer flußaufwärts lag. Dort versuchten sie sich feste Häuser zu bauen. Das mitgebrachte Werkzeug erwies sich allerdings sich für die Rodung des Urwalds bald als ungeeignet. Unbekannte Pflanzen, Tiere, Krankheiten und das Klima bildeten eine feindliche und unverstandene Umwelt. Ohne Kenntnis von Geografie, Fauna oder der Guerani-Sprache der Indios waren die Siedler einem erbarmungslosen Existenz- und Überlebenskampf ausgesetzt, der sie von Anfang an zermürbte. (13) Das idealistische Konzept Försters war schon zu diesem Zeitpunkt gescheitert: 1. Der Fluß war nicht geeignet, Waren und Produkte der Kolonie nach Asuncion zu transportieren. 2. Die Siedler bauten ihre Häuser zu weit voneinander entfernt auf, was Försters Konzept konterkarierte. Der Ortskern sollte ein sozialer Platz sein, an dem die Familien zusammenkamen um „ihr Deutschtum zu pflegen“. Das Gemeinwesen sollte genossenschaftlich organisiert sein, ohne „jüdischen Zinswucher und Kreditunwesen“, im Zentrum des Ortes sollten Schule und Kirche liegen. Diesen Ansatz zu verdichten, zu erweitern oder eine Stadt zu gründen, dazu kam es allerdings in Nueva Germania nie. 3. In der Gruppe waren zu wenig Bauern, die etwas vom Ackerbau verstanden.

Die besten Grundstücke und Parzellen im Ortskern vergab Förster an sich und seine Frau, an Baron v. Maltzahn, den Arzt und den Schullehrer. (14) Diese Leute bildeten den „idealistischen Kern“ der Siedlung. Der Rest der Kolonisten lebte orientierungslos auf weit voneinander entfernten Höfen in völliger Einsamkeit. Förster hatte ihnen vor der Abreise erzählt, daß sie an „etwas Großem“ teilnehmen würden und durch Ihr Deutsch-sein „etwas Besonderes“ und „Auserwählte“ seien. Nun waren sie gezwungen, sich von den Einheimischen, Paraguayern und Indios das Wissen zu holen, das sie für ihr eigenes Überleben brauchten. Offenen Rassismus konnten sie sich nicht leisten. Ohne Kommunikation nach außen und ohne Mittel, um wieder in die Heimat zurückkehren zu können, lebten sie von Anfang an in einer Art „Dunkelhaft“ im Urwald: Material für die Umsetzung der Weltverbesserungsphantasien von Künstlern und Philosophen, die dieses Experiment begonnen hatten. Förster reiste auch bald wieder nach Deutschland zurück, um dort mit Unterstützung der von ihm gegründeten „Kolonialgesellschaft“ in Chemnitz und durch Aufrufe in den Antisemitischen Blättern von Theodor Fritsch und in den Bayreuther Blätttern finanzielle Hilfe und neue Siedler zu gewinnen. In „Nueva Germania“ hatte sich zwischen- und kurzzzeitig die Lage stabilisiert. Einem der Siedler, Oskar Neumann, war es gelungen, die Yerbapflanze (eine Teeart) zu kultivieren und im größeren Stil anzubauen. Die Siedler hielt dafür das Monopol und konnten dadurch ihre wirtschaftliche Situation entscheidend verbessern. In Hamburg-Harburg wurden nun zwei Schiffe für die Siedlung gebaut, die 1888 feierlich in Betrieb genommen wurden. (15) (16) Doch, die Schiffe hatten zu viel Tiefgang und konnten nicht wie geplant eingesetzt werden. Andere Yerbaproduzenten in Paraguay und Argentinien brachen nun das Monopol der Siedlung und die wirtschaftliche Misere verschärfte sich bald wieder. Die wirtschaftlichen Schwie rigkeiten führten bald zu Zerwürfnissen und Streit in „Nueva Germania“, der sich auch in den Spalten der Kolonialpresse in Deutschland und den „Bayreuther Blättern“ fortsetzte. (17) Viele Unterstützer gingen auf Distanz zu Förster, der, zerrieben zwischen den Streitigkeiten in der Siedlung und der Häme aus Deutschland über das scheiternde Projekt, Zuflucht im Selbstmord suchte. Nervlich zerrüttet und körperlich ein Wrack machte er am 3.Juni 1889 in einem Hotel in San Bernardino, etwa 160 Kilometer von der Siedlung entfernt, seinem Leben mit Gift ein Ende. (18) Elisabeth Förster-Nietzsche verließ nach der Beerdigung Försters die Siedlung, um in Naumburg ihren erkrankten Bruder Friedrich zu pflegen. (19) 1926 traf die junge Lehrerin Cornelia Sonntag aus Nürnberg in der Siedlung ein. Sie eröffnete die schon zwei Jahre geschlossene deutsche Schule wieder und erstattete 1928 Elisabeth Förster-Nietzsche in Weimar nach ihrer Rückkehr Bericht. In den folgenden Jahren unterstützten Elisabeth Förster-Nietzsche, das Nietzsche-Archiv und dessen Vorstand Major a.D. Max Oehler sowie die Abtlg. Auslandsdeutschtum des Auswärtigen Amts die Kolonie „im Kampf um die Erhaltung des Deutschtums“. (20) (21) In San Bernardino wurde ein Gedenkstein für Bernhard Förster errichtet, und dessen Grab 1934 mit deutscher Erde und einer Widmung Adolf Hitlers geweiht. 1935 starb Elisabeth Förster-Nietzsche, und mit ihr das Interesse an der Siedlung.

Im Mai 1995 erhielt ich einen Anruf von Frau von Thümen aus Asuncion. Ob ich noch an Informationen über „Nueva Germania“ interessiert sei? Wenn ja: sie habe gerade erfahren, daß sich der langjährige Pfarrer von „Nueva Germania“, Detlef Venhaus, in Deutschland auf einer Kirchentagung in Norddeutschland befinde. In Bad Bevensen. Das ist doch in Ihrer Nähe, lieber Herr Dammbeck? Ich rief Venhaus sofort an. Wir trafen uns in einer Tagungspause in der Evangelischen Akademie und ich nahm das Gespräch mit einem Kasettenrecorder auf.(22)

Für Venhaus begann die Neuentdeckung der Siedlung mit Richard Wagner. Der paraguayische Komponist Luis Saran, einer der bekanntesten Komponisten Südamerikas, stolperte bei seinen Wagner-Studien über einen Verweis auf Nueva Germania. Er fuhr dort hin und fand in der Siedlung durch Zufall den Abendmahlskelch und die Taufschale, die seinerzeit von der Familie Förster gestiftet wurde. Und da gab es einen Ruck: es kann doch nicht sein, dass im nächsten Jahr 100-jähriges Jubileum der Gründung dieser Kolonie ist, und man hier nichts macht. Frau von Thümen entwickelte nun eine enorme Energie und ließ einen „concurso“ über die Geschichte von „Nueva Germania“ in der paraguayischen Presse ausschreiben, den sie selbst dann auch gewann. Aber die eigentliche Ursache für den Hype um „Nueva Germania“ seither lag woanders. Die Tochter des deutschen Botschafters, so Venhaus weiter, war Volontärin bei der FAZ und besuchte ihren Vater in Asuncion. Sie sagte sich: ich muss irgendwas machen, damit jemand meine Reise mitfinanzieren kann und ich vor meinem Chef eine Rechtfertigung habe, warum ich so lange weg bin. Der Botschafter sagte: da gabs doch gerade ´ne 100-Jahrfeier. Is ja Spitze, Papi, könn wir nich? Und Papi rief bei mir an: Herr Venhaus, könn wir nich? Ich sagte, Herr Botschafter, warum nicht. Für zweimal Kaffeetrinken saß das Mädel bei mir, nirgendwo anders, und schrieb dann einen sechsspaltigen Artikel in der FAZ. Dann kam plötzlich eine Schweizer Journalistin, die schrieb nach kurzem Gespräch mit mir das Gleiche. Dann hörte der britische Autor Macintyre von der Sache, und tauchte bei mir auf. Seine Nueva Germania-Aufenthalte haben ja praktisch bei mir zu Hause stattgefunden. Er sprach ja kein Wort Deutsch. Ich war der Dolmetscher und nahm ihn zu verschiedenen Leuten in der Siedlung mit, wo er aber mehr so visuelle Eindrücke bekommen hat. Und dann kam, ich und meine Frau waren in Deutschland bei einer Synode, die Einladung vom „Stern“, mit großem Essen. Die boten mir eine Titelgeschichte an, eine „Riesenklamotte“, und nach zwei Gesprächsrunden in Hamburg sagten die Herren: wir kommen in sechs oder acht Wochen, buchen Sie schon mal Leihwagen und Hotels. Glücklicherweise kam dann aber ein Telegramm: die Geschichte ist nicht spektakulär genug für die Titelseite und das Budget zu hoch für eine Inside-Geschichte.

Und in diesem Rhytmus ging es weiter. Und dann meldete sich die BBC: die hatten das Buch von Macintyre gelesen und wollen nun einen Film drehen, selbstverständlich ganz seriös. Die Redakteurin kam mit einem Regieassistenten und weiteren sechs Leuten. Ich organisierte denen Interviewpartner, die authentisch über Nueva Germania erzählen können, z.B. den Walter Neumann, der in Antequera wohnte. Der wurde dann vor zwei Riesenhintergründen abgelichtet und kam dann keine Sekunde im fertigen Film vor. Was er sagte, deckte sich mit dem, was ich auch sagen würde. Nur, was wir beide sagen, ist nicht zu verkaufen. Die größte Sauerei, die die BBC drin hatte, war das Tanzfest. Sie müssen wissen: Die Deutschstämmigen unserer Gemeinde feierten Weihnachten, Ostern, ersten Mai, Muttertag und so. Wir machten dann Gottesdienst, aßen Kuchen, tranken Bier, nichts Besonderes. Das waren Tanzfeste, die so ähnlich aussahen wie im Film. Aber die hatten nichts mit Nietzsche oder mit nationalistischem Deutschtum zu tun. Denn die Not und Armut von Anfang an, bedingt durch das Klima und die Fehlplanung, war so groß, daß die Integration und Mischung mit der umgebenden einheimischen Kultur in Nueva Germania am höchsten ist von allen deutschen Kolonien in Paraguay oder Brasilien. (23)

Die Gründung selbst wurde in der Kolonie nie gefeiert. Das begann erst wieder nach 1987. Zu diesen Tanzfesten kam, wer Lust hatte, auch Paraguayer, da wurd niemand rausgeekelt oder durfte nicht mitmachen. Nun sagte die BBC: wir würden so ein Tanzfest gerne filmen. Unsere Leute, die damals noch sehr, sehr offen waren, sagen na ja, wir könnten sowas organisieren. Sagte die BBC: o.k.,wir zahlen alles, wie wär denn ein Tanz im Freien, mit Freibier? Im fertigen Film heißt es dann: „Alle Jahre feiern die Deutschen ihre Gründung ...“ und so weiter und so fort. (24) Einer der Neu-Germanen, der im Ortskern wohnte, ist ein Morocjo, ein mit Paraguayern vermischter Deutscher. Seine Kinder aber sind wie durch ein Wunder hellblond. Die Frau von der BBC setzte die blonden Kinder nun in eine Kutsche und ist sich voll bewußt, welche Wirkung sie damit erzielt, dazu spielte sie Musik von Richard Wagner ein. An der Szene hatte ein Riesenteam zwei Tage gebastelt, eine einzige Inszenierung. Die Frau Martha, die Frau Magda und der Walter, das waren die Hardliner in Nueva Germania. Wenn aus jemandem im Gespräch sauber rassistische Positionen rauszuholen sind, dann aus diesen drei Leuten. Aber, die Dona Magda, die da auftritt und sagte: die Paraguayer arbeiten nicht so viel und sind faul, die hatte zu mir gesagt (und das hatte sie auch den BBC-Leuten gesagt): ´Hören Sie Detlef, beeinflussen sie unsere Jugendlichen, damit die Paraguayerinnen heiraten. Die Inzucht wird uns hier sonst fertig machen. (25) Das fehlte im Film auch. Ich könnte Sie in Nueva Germania zu einer Familie führen, und zeige Ihnen die fünf Kinder. Der Mann dieser Familie hat seine Cousine geheiratet. Und bei dieser Familie ist eine Degeneration von Kind zu Kind sichtbar. Aber es gab auch ein gesundes Kind. Der Junge war zwar verhaltensauffällig, aber nicht aus genetischen Gründen sondern auf Grund der sozialen Isolation und dem Chaos, in dem die Familie lebte. Und die jüngste Tochter hatte keine körperliche Störung, sondern war nur geistig schwerstbehindert, aber nicht aus den genannten Gründen. In Nueva Germania kann ich Ihnen genau zeigen, wo eine Familie unter sich geblieben ist über die hundert Jahre. Aber die Leute, die sich gemischt haben, sind, rein ästhetisch gesehen, wunderschöne Menschen.

 

Fußnoten

(1)„...und eine andere Gestalt in diesem Zusammenhang war für mich auch Arno Breker, der nun (in der DDR. der Verf.) natürlich noch mehr dem Tabu ausgesetzt war (als Ernst Jünger, der Verf.), ..der mich aber auch faszinierte, und zwar in einem doppelten Sinne: im Sinne eines Kunstideals, das vom Klassischen herkommt. Und zum andern auch im Sinne der Formel, die auf Stefan George zurückgeht vom „geheimen Deutschland“, der also auch auf einer Traditionslinie steht, die mit Namen wie Breker, Wagner, Nietzsche, Benn, Heidegger und Jünger bezeichnet ist....“ Rolf Schilling im Interview für „Zeit der Götter“, 1991

(2) „Irminsul“: „Kultsäule der Sachsen“, von Karl dem Großen („Sachsenschlächter“) zerstört. Symbol der neuheidnisch orientierten Gruppen innerhalb und außerhalb des Nationalsozialismus. Die SS be- nutzte die „Irminsul“ für das Signet des Amtes „Ahnenerbe“ der SS, als Gegensymbol zum christlichen Kreuz.

(3) ...Aber was war aus den vierzehn deutschen Familien und ihren Nachkommen geworden?... Noch wichtiger, wie würden sie mich aufnehmen ?....Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es mir, daß ich von diesem verlorenen Stamm von Ariern festgenommen und für den Rest meiner Tage angekettet würde, um zur Zeugung von Nachkommen verwendet zu werden, eine gefangene Pumpe für den genetischen Pool. In der Abenddämmerung würden Dschungelbrünhilden, in jeder Hinsicht perfekte Teutoninnen mit strahlend blauen Augen, aus dem Wald auf die Lichtung hervortreten, wo ich nackt auf einrem Tisch läge: eine nach der anderen würden sich in die Schlange stellen.... Ben Macintyre „Vergessenes Vaterland“, Reclam Verlag Leipzig 1994

(4) s.a. den Film von Russ Meyer: „Drüber, drunter und drauf!“ (Up) von 1976, wo Bormann und Hitler noch am Leben sind und „Adolf“ sich im südamerikanischen Chaco exzentrischen Perversionen widmet.

(5) Zum zweiten Weihnachtsfest, dass der junge Professor Nietzsche in Tribschen bei der Familie Wagner verbringt, schenkt er Wagner den Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ von Albrecht Dürer. Bernhard Förster verwendet das Motiv in seiner Abhandlung über „Das Verhältnis des modernen Judentums zur deutschen Kunst“ als ein Symbol „für die bedrohte deutsche Kunst“, in: Ben Macintyre „Vergessenes Vaterland“, Reclam Verlag Leipzig 1994

(6) Die Begeisterung über das von Bismarck durch eine Vereinigung „von oben“ geschaffene Deutsche Reich hält sich bei der sich formierenden Arbeiterbewegung, aber auch in Teilen der Intelligenz und vor allem der „völkischen Opposition“ in Grenzen. Der „Deutsche Kolonialverein“, der „Deutsch-Nationale Handlungshilfenverband“, der  „Deutsche Kriegerbund“ und vor allem der „Alldeutsche Verband“ sind Sprachrohr für diejenigen, denen das Wilhelminische Reich nur ein Zwischen- und Interimsreich ist und deren Hoffnung und Sehnen sich auf ein „Drittes Deutsches Reich“ richtet. 1871 erfolgt die Gleichstellung der Juden im deutschen Reich durch Kaiser Wilhelm. In den folgenden Jahren entfaltet sich als Reaktion eine Hochflut antisemitischer Gedanken und Aktivi-täten. In der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei des Hofpredigers Stöcker 1878 finden die vom wilhelminischen Reich enttäuschten bürgerlichen Intellektuellen die politische Plattform für einen rassistisch, wirtschaftlich wie poitisch-religiös begründeten Antisemitismus. 1887 stellt sich der Bibliothekar der Universität Marburg, Dr. Otto Boeckel selbst als „antijüdischer Reichstagskandidat“ im Wahlkreis Marburg-Kirchhain Franken- berg (Hessen) auf und wird gewählt. 1890 gibt es fünf „antijüdische“ Abgeordneten im Reichstag,1893 steigt die Zahl auf 16, damit ist der Höhepunkt der „antijüdischen“ politischen Bewegung erreicht. Bis zum „völkischen Erwachen“, etwa um 1912, verringert sich der Einfluß des „Partei- Antijudaismus“ stetig.

(7) Theodor Fritzsch, Verlagsbuchhändler, Herausgeber und Publizist. Schlüsselfigur des Antisemitismus im Deutschen Reich. Gründet 1885 die Antisemitische Correspondenz in Leipzig, "Centralorgan der deutschen Antisemiten“. Gründung des „Hammer-Verlags“, ebenda. Herausgeber zahlreicher Schriften, die sich an alle „Mitdeutschen“ wendet, „die einen gemeinsamen unversöhnlichen Widersacher haben -er heißt- Jude!“. Ziel war „die Erneuerung Deutschlands in allen Bereichen, unter Ausschluß der Juden als kosmopolitischem Verderber...“. Bei seiner Beerdigung 1933 in Leipzig gibt neben dem SA-Sturm 106 und 107 und Gauleiter Mutschmann auch Leipzigs Oberbürgermeister Dr. Goerdeler Fritsch letztes Geleit.

(8) Lexikon „Große Meyer“ von 1907, Band 1: „Antisemitische Bewegung“ Durch den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluß der von den früheren Schranken befreiten jüdischen Bevölkerung veranlaßt, strebt danach, diese Schranken wiederaufzurichten und die Juden aus den öffentlichen Ämtern zu verdrängen oder ganz zu vertreiben.

(9) „...durch Auswanderung in Gegenden, deren Fruchtbarkeit ausreicht, dieses neue Deutschland ohne rassische Vermischung, rein und durch Wiedergeburt der arischen Rasse fern dem Stiefvaterland Deutschland entstehen zu lassen.....“ Richard Wagner „Religion und Kunst“, 1880

(10) Als Ergebnis der Reisen veröffentlicht Förster 1883 das Buch: „Deutsche Colonien in dem oberen Laplata-Gebiete mit besonderer Berücksichtigung von Paraguay“. Naumburg 1886

(11) „Bevor nun hier im Lande die Verderbung bis zu einem unheilvollen Grade gefördert ist, gilt es, möglichst viele noch nicht infizierte Elemente zusammenzufassen und von dem todkranken Mutterkörper zu trennen, damit, falls dieses Deutschland zwischen Felsen und Meeere einmal den Russen, den Juden oder den Welschen anheim fällt, das ideale Deutschland verjüngt und voller Kraft lebe, um die Gedanken deutscher Kultur wieder aufzunehmen.....Nur auserlesene Menschen dürfen nach Neudeutschland mitkommen, alle Untugenden Altdeutschlands zurücklassend. Daß jenes unser Neugermanien den ekelhaften und Krankheit erregenden Fleischgenuß des entarteten alten Landes nicht kennen darf, versteht sich von selbst......Ebensowenig sollen alle die anderen Krankheiten der alten Welt denWeg in die neue schöne Heimat finden, so vor allem das auf Grund und Boden angewandte, verkehrte und verderbliche Eigentumsrecht, durch welches das Judentum erst in den Stand gesetzt worden ist, festen Boden unter uns zu fassen und seine vergiftenden Wirkungen zu äußern. ......in: E.F.Podach „Gestalten um Nietzsche“, Weimar 1932

(12) Friedrich Nietzsche schreibt seiner Schwester 1887 nach Paraguay:“....du sagst, Neu-Germania habe nichts mit dem Anti-Semitismus zu thun, aber ich weiß es ganz sicher, daß das Kolonisationsprojekt wesentlich antisemitischen Charakter hat, aus jenem „Correspondenzblatt“ (Wochenschrift Antisemitische Korrerspondenz. Sprechsaal für innere Parteiangelegenheiten, die Nietzsche regelmäßig zugeschickt bekam, der Verf.), das nur im Geheimen verschickt wird und nur an die zuverlässigen Mitglieder der Partei. (Hoffentlich gibt es Dir mein Herr Schwager nicht zu lesen! es wird immer unangenehmer.) Es scheint mir aber sehr möglich, ja wahrscheinlich, daß die Partei zwar darüber redet, aber nichts thut......Ach, mein gutes Lama, wie bist Du nur dazu gekommen, Dich in solche Abenteuer zu stürzen? Wenn es nur gut endet......Dein Fritz. in: Friedrich Nietzsche: Briefe an Mutter und Schwester, Leipzig 1909, Nr. 463

(13) Aus Paraguay. Asuncion 29. August 1886. An seine Durchlaucht den Fürsten von Hohenlohe-Langenburg, Präsident des Deutschen Kolonialvereins

Durchlauchter Fürst !

...mir scheint es in diesen Tagen zu gelingen, mit den sehr bescheidenen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, einige kleinere Terrains zu erwerben, welche den großen Vorzug haben, an den schiffbaren Klima des Rio Paraguay zu liegen...dort will ich deutsche Arbeiter und Bauern ansiedeln, denen ich durch Gewährung einer freien Hufe und durch Darleihung von Milch- und Arbeitsvieh den Anfang erleichtere...ich gebe angeschlossene eine Skizze der Uferländer des Jesui und Aguaray. Diese Ländereien eignen sich trefflich zu kolonialen Anlagen, da sie in frostfreiem Klima Wald, Weide und Wassser in bester Beschaffenheit enthalten und dem Pflanzer und Bauer Gelegenheit geben, außer den landesüblichen Nährfrüchten, für welche in der nächsten Umgebung genügender Absatz ist, Zuckerschilf, Kaffee, Baumwolle und vielleicht auch Kakao und Vanille zu pflanzen...die süße Apfelsine gedeiht in wunderbarer Güte und Menge. Indem ich Eure Durchlaucht ganz ergebenst ersuche, diese Mitteilung in geeigneter Form zur Kenntnis der betreffenden Zweigvereine gelangen zu lassen, habe ich die Ehre zu zeichnen als euer Durchlaucht ehrerbietigst ergebener B. Förster

(14) Friedrich Nietzsche an Overbeck, 3. Februar 1888: „....von Paraguay gibt es sehr beruhigende Nachrichten: die Entwicklung der ganzen an sich so gewagten Unternehmung kann nicht anders als glänzend genannt werden. In der neuen Kolonie sind ca. 1000 Personen bereits in Tätigkeit: darunter mehrere sehr gute deutsche Fa- milien (z.B. die Mecklenburger Baron Maltzahn); meine Angehörigen gehören zu den größten Großgrundbesitzern in Paraguay; der Einfluß Dr.Försters ist, wie ich ganz indirekt und zufällig gehört habe, derartig gewachsen, daß eine Anwartschaft auf die nächste Präsidentschaft der Republik durchaus nicht außer der Wahrscheinlichkeit liegt.....“

(15) Die Probefahrt des Dampfers „Leipzig“ der Südamerikanischen Kolonisations-Gesellschaft: Wie wir bereits im 11. Hefte dieses Jahrgangs mitteilen konnten, hat die Südamerikanische Kolonialgesellschaft zu Leipzig auf der Werft des Herrn Holz in Harburg zwei Dampfer bauen lassen, einen größeren „Leipzig“, für die Fahrt auf dem Paraguaystrom bestimmt, und einen kleineren „Hermann“, welcher den Jesui und dessen Nebenflüsse befahren soll. Der „Leipzig“ ist ein Schraubendampfer von 29,40 m Länge und drei unabhängigen Maschinen...bei herrlichem Wetter betraten die Festgenossen gegen 9.00 Uhr das schmucke, angenehme Linien zeigende Schiff. Eine feierliche Stimmung bemächtigte sich aller Anwesenden, als eine Miltärkapelle das Lied:“ Nun danket alle Gott!“ intonierte und der zweite Vorsitzende des Aufsichtsrates, Herr Professor Hasse,...das Wort ergriff. Kolonial-Nachrichten 4/1884, Chemnitz, Hrsg. von der Kolonialgesellschaft für Paraguay

(16) s.a. „Enthüllungen über die Dr. Bernhard Förster´sche Ansiedlung Neu-Germanien in Paraguay“, von Julius Klingbeil, Leipzig 1889 Kommissionsverlag von Eduard Baldamus

(17) Bericht von R. von Fischer Treuenfeld, Generalkonsul für Paraguay für das Königreich Sachsen, Berlin 1906

..da die weiten, umständlichen Transporte bis Asuncion den Anbau von Tabak, Baumwolle, Mais und Zuckerrohr nicht rentabel machten, so mußten diese Kulturen bald aufgegeben werden, während Nachtfröste bis zu 3 ° Kälte die Kaffeepflanzen vernichteten. Damit war das Urteil über Nueva Germania gesprochen. Die Landwirtschaft zerfiel, ein großer Teil der enttäuschten Kolonialisten zog sich polternd zurück, und da unter ihnen zu viele waren, die mit der Feder besser als mit Axt und Hacke Bescheid wußten, so wurdeDeutschland für einige Jahre mit Paraguayer Verwünschungen und Verleumdungen systematisch überschüttet...

(18) Export . ORGAN DES CENTRALVEREINS FÜR HANDELSGEOGRAPHIE UND FÖRDERUNG DEUTSCHER INTERESSEN IM AUSLANDE

XXVI. Jahrgang, Nr. 19

„Wir kommen zu der Förster´schen Gründung Nueva Germania. Ich will meinethalben des lieben Friedens willen zugeben, daß Förster gutgemeinte Gedanken beseelt haben. In jedem Fall wird man eingestehen müssen, daß der Mann wenigstens die Courage hatte, den Leitbock seiner Herde zu machen, während andere Koloniegründer..sich am grünen Tisch im Kolonisationssport gefielen...Aber, und das kann nun nicht schwer genug betont werden, war er sicher die ungeeignetste und unpraktischste Persönlichkeit zur Führung dieses Unternehmens. Kapitalunkräftig, ein in hoher Weise ideal veranlagter Schwärmer, durch serine Erziehung und seinen Lebensberuf mit dere schönen Rechenkunst unbekannt, glaubte er, daß die ganze übrige Menscheit auf seine Anschauungen zugeschnitten sei. Wenn man noch einmal ein eklatantes Kolonialfiasko haben will, stelle man nur einen deutschen Schulmeister an dessen Spitze.“

(19) Berliner Tageblatt Nr. 320, 27. Juni 1892

*“Bernhard Förster !“ - ein Jahrzehnt zurück, und er war soviel genannt wie heute noch Herr Stöcker, jetzt ist er fast vergessen. Den Blick zurück auf Bernhard Förster lenkt nochmals ein Aufsatz des „Vorwärts“, in dem von einem Augenzeugen geschildert wird, wie es um die Kolonie des numehr Verstorbenen bestellt war. Man kann nur sagen: Antisemitisch... Die Menschen nun, welche in dieser Kolonie den germanischen Geist zu einer edlen Blüthe entwickeln sollten, waren zum Theil junge Tauge- nichtse mit Baron- und Grafentiteln, zum anderen Teil Auswanderer aus Sachsen, schwächliche, kleine Leute mit zum Teil kindlich romantischen Ideen.Die einen wie die anderen sind zum Teil zu Grunde gegangen.......Wer waren in Deutschland die Werber für die Kolonie ? Der antisemitische Agitator Fritzsch in Sachsen, den der Antisemitismus zu einem reichen Mann gemacht hat, der Bankier Kürbitz in Naumburg und der Bankier Schubert in Chemnitz.

(20) Manometerfabrik Max Schubert, Chemnitz i.Sa., 4. September 1915, Max Schubert an Elisabeth Nietzsche-Förster:

...die Gegenwart bietet Aufgaben von solcher Bedeutung, daß es mir als ein unsagbares Glück erscheint, die Werke Ihres Herrn Bruders verstehen gelernt zu haben und mit Ihnen verehrte, gnädige Frau wie mit Ihrem verstorbenen Gatten, Dr. Berhnard Förster, in so nahen Beziehungen gewesen zu sein. Die Umwertung aller Werte wird mt Blut und Eisen in die Menschheits-Entwicklung hineingeprägt und die nationale Regelung der deutschen Auswanderung, für die Ihr Gatte ein Beispiel schuf, würde in der Zukunft erweitert werden müssen zur Transmigration der Deutschen aus Gebieten, in denen sie schlecht behandelt werden, in die von uns neu zu erwerbenden Lande. Würden Sie, verehrte gnädige Frau, ein neues Nietzsche-Heft herausgeben mit allen wichtigen Stellen gegen die Sozialdemokratie, was Sie mir schon einmal versprochen haben, unter dem Titel „Arbeiterschaft und Sozialdemokratie“, so könnten Sie helfen, dem Wirrwarr der Zukunftskämpfe die erforderliche Richtung zu geben. Als ich dem Vizepräsidenten der Sächsischen Kammer, Geheimnrat Opitz, jüngst die Stelle zitierte: “Das Leben ist ein Born der Lust, aber wo das Gesindel mittrinkt, sind alle Brunhnen vergiftet“, fragte er freudig erregt: Das hat Nietzsche geschrieben ?“... Mit treudeutschem Gruss, in: Goethe und Schillerarchiv, Nachlaß Nietzsche

(21) Nueva Germania, Neujahr 1937

An Frau Dr. Cornelia Nürnberg, Erfurt

Werte Volksgenossin !

Ich beantworte heute Ihr Schreiben vom 9. August, und sind wir nach reifer Überlegung zu folgendem Entschluss gekommen, den ich auch Herrn Major Öhler bekannt gegeben habe: Die wirtschaftliche Lage und die Aussichten auf Besserung sind seit Gründung der Kolonie noch nicht so trostlos gewesen wie heute, bedingt einerseits durch die ungeheure Entwertung des paraguayischen Pesos und vor allem durch den unglaublich niedrigen Marktpreis des Yerba... Nach europäischen Begriffen sind wir alle unglaublich arm.  Mehl, Galletas, Nudeln, Reis, Kaffee usw. sind Luxusartikel, die in manchen Häusern nur noch an Festtagen zu sehen sind...Zu herzlichstem Dank würden Sie uns aber verpflichten, wenn uns von privater Seite von Leuten, die Frau Förster-Nietzsche oder der Kolonie nahe stehen, Spenden zugehen könnten, sei es Anschauungs material, Bücher für den Unterricht, damit auch unsere Kinder verstehen lernen unser heutiges Deutschland, das Reich Adolf Hitlers und sein Wollen...Ich schließe mit besten Wünschen für ein gutes 1937! Mit volksdeutschem Gruss! Heil Hitler! Schubert, in: Goethe und Schillerarchiv, Nachlaß Nietzsche

(22) Auszug aus einem Gespräch von Lutz Dammbeck mit Detlef Venhaus 1995 in Bad Bevensen

(23) Wir als Kirche betreuen in Paraguay, Argentinien oder Brasilien heute die Nachkommen der Leute, die seinerzeit durch die Reichsregie rung aufs Schiff gesetzt wurden. Da haben sich bei den damaligen Sozialämtern in Berlin oder Sachsen fünf- oder sechstausend Arbeitslose gemeldet, da wurde beim Reeder ein Bananendampfer gemietet und dann wurden die nach Südamerika gekarrt. Schon die zweite Gruppe, die nach Nueva Germania kam, wollte keine neue Rasse aufbauen, sondern das waren reine Wirtschafts-flüchtlinge. Die hatten so wenig orts- und klimabezogene Vorbildung und technisches Know how, daß sie nichts anderes machen konnten, als sich von den Paraguayern viele Sachen abzugucken. Die ältesten Häuser in Nueva Germania sind klassisch paraguayisch. Wie Ranchos, und nicht wie deutsche Bauernhäuser in Brasilien, wo der Hunsrück nachgebaut wird... ich gehe davon aus, das dem ideologischenen Kern in Nueva Germania ziemlich früh die Augen aufgegangen sind, das es nicht klappen kann und der Förster spinnt. Die haben ihre letzte Mark zusammengekratzt und sind wieder zurück aufs Schiff und nach Asuncion oder Buenos Aires. Und die anderen waren eben darauf angewiesen, da zu bleiben. Das war der Rest, die Fußkranken: eine Negativauslese. Ich glaube, das dann die Frustra- tion über die mißglückte Gründung von Generation zu Generation weitergegeben und unbewußt vererbt wurde, weniger Ideologisches. Als ich 1983 da hin kam, haben die Siedler mir gesagt: Wir taugen nichts, wir sind einfach so in den Wald gestreut, Herr Pfarrer. ebenda

(24) „Every year the colonists get together to celebrate the anniversary of their arrival in Paraguay. In this tidily net community the two hundred Germans that remain here share between them only eleven surnames. Everyone is related, and Paraguayens are not welcome...“ Kommentartext aus: „Forgotten Fatherland“. BBC TV Produktion, Regie: Candida Pryce-Jones, c 1992

(25) ...im Cyberspace kann man sich, der Künstlerin Eva Sutton sei Dank, seinen ureigenen Wolpertinger via Mausklick in Windeseile zurechtbasteln. Ihr „Hybrid“ bietet die Möglichkeit der schier unendlichen Kombination Hunderter von Körperteilen verschiedener Spezies....... Ganz „Paradise Now“ wimmelt von Chromosomen, DNA-Doppelhelics, Diagrammen und Genomsequenzen..Inigo Manglano-Ovales „Banks in Pink and Blue“ besteht aus Samenbanken, deren Aluminiumbehälter Sperma von 100 Testpersonen in flüssigem Stickstoff aufbewahren. Die Urheberrechtsverträge der Spender sind an den giftgrünen Ausstellungswänden angebracht. Diese Behältnisse machen nachdenklich - vor allem dann, wennn ein paar Straßen weiter auf dem Campusgelände der New York University auf häuserwandhohen Plakatwänden um die von wohlhabenden, aber unfruchtbaren Paaren begehrten Eier der intelligentesten und hübschesten Studentinnen geworben wird. Das Geld für ein solches Ei kann monatelanges kellnern aufwiegen,
in: „Denkmal der Labormaus“ von Thomas Girst, in: die tageszeitung 23. Oktober 2000. 39 Künstler malen sich die genetische Revplution aus: Die Ausstellung „Paradise Now“ in der Galerie „Exit Art“ New York.

(26) Die Schlacht der Zitate. Sind Wagner oder Nietzsche nun Antisemiten, Anti-Antisemiten, Kosmopoliten, gute Europäer, Rassisten oder deren Gegenteil? Was beweisen die mühsam rausgesuchten Zitatkrümel, die Für und Wieder belegen sollen? Nietzsche hat den Sozialismus als „die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, d.h. der Oberflächlichen Neidischen und der Dreiviertel-Schauspieler“ bezeichnet. Komplettieren solche Fundstücke die direkte Linie von Nietzsche zu Mussolini („dem ersten Nietzscheaner als Regierungschef“) und zu Hitler, was für Wolfgang Harich, 1989 im Gespräch mit Paul Falck, unstrittig ist:

WH: Nur Nietzsche, einzig und allein er, kein anderer, hat auf die Pariser Kommune mit dem Ruf zur Rückkehr zur Sklaverei reagiert. Sieben Jahrzehnte danach ist diese Saat aufgegangen: im Überfall Hitlerdeutschlands und seiner durchweg faschistisch regierten Verbündeten auf die Sowjetunion. Da haben Sie den letzten, den entscheidenden Inhalt, die strategische Substanz der faschistischen Ideologie.

PF: Führt also eine gerade Linie von Nietzsche zu Hitler?

WH: In den Nachlaßaufzeichnungen „über Völker und Vaterländer“, von 1886, werden die ´Kleinstaaten Europas, ich meine alle unseren jetzigen Staaten und Reiche´ als in kurzer Zeit wirtschaftlich unhaltbar´ verurteilt unter den zu begrüßenden Auspizien eines den gesamten Kontinent umfassenden, ihn übergreifenden Imperialismus, von dem es heißt, die Kolonien Englands seien für ihn ebenso unentbehrlich, ´wie das jetzige Deutschland, zur Einübung in seine neue Makler- und Vermittlerrolle, der Kolonien Hollands bedarf´. Um dieser Vision willen wird zur ´Überwindung der Nationen´aufgerufen, wird das Deutsche Reich für uninteressant erklärt, mit dem Zusatz, es wisse nicht, was es wolle; ´Frieden und Gewährenlassen ist gar keine Politik, vor der ich Respekt habe. Herrschen und dem höchsten Gedanken zum Siege verhelfen - das Einzige, was mich an Deutschland interessieren könnte´, ein Seitenhieb nicht gegen ´verdummende Machtpolitik´, nein, einer gegen Bismarcks ´Saturiertheit´, gegen seine Besonnenheit, seine Vorsicht, seinen Realismus. Und wieder, wie sechs Jahre zuvor in der ´Morgenröte´, setzt dabei Nietzsche, was die heranzuzüchtende Herrenkaste betrifft, von der er sich ´ìnteressanteres´ Agieren verspricht, größte Hoffnungen auf den preußischen Adel, weil der ´gegenwärtig die männlichsten Naturen in Deutschland´ stelle, sowie auf die...Juden, als die ´geschicktesten Geldmenschen´, die unbedingt gebraucht würden, ´um die Herrschaft auf der Erde zu haben´. Störend sei die ´Weichlichkeit der demokratischen Ideen, erwachsen aus dem Kampf der Nationen´, störend auch das Àufwerfen von Rassefragen, gesetzt nämlich, ´daß man nicht seine Herkunft aus Borneo und Horneo hat´; dort, versteht sich, unter Kolonialoffizieren, stört es nicht.

PF: Sie haben selbst erklärt, das Aufwerfen von Rassefragen hätte Nietzsche 1886 als störend empfunden.

WH: Als störend für das Zustandekommen einer Herrenkaste, bestehend aus ostelbischen Junkern und reichen Juden - ja. Und nun zitiere ich die betreffende Stelle bei ihm wörtlich: “Wieviel Verlogenheit und Sumpf gehört dazu, im heutigen Mischmasch-Europa Rassenfragen aufzuwerfen (gesetzt nämlich, daß man nicht seine Herkunft aus Borneo und Horneo hat)!“ Verrät das Wort „Mischmasch“ nicht die Hybris des Rassisten ? Und steckt nicht in der Sonderregelung, die für Leute aus „Borneo und Horneo“ gelten soll, nicht ein für alle Farbigen bestimmtes Ausgrenzungs gebot, in dem Rassismus und Kolonialismus zusammentreffen? in: Wolfgang Harich „Nietzsche und seine Brüder“, Kiro Verlag Schwedt 1994